Die letztwöchigen Entwicklungen im Zuge der Verbreitung des COVID-19 Virus haben den DGG-Verein zu bisher noch nie dagewesenen Entscheidungen gezwungen, die letzten Endes in der Absage der Jahrestagung kulminierten. Viele Fragen kamen seitens DGG-MitgliederInnen seither auf, die im nachfolgenden Interview aufgegriffen und von Prof. Dr. Heidrun Kopp, Präsidentin der DGG, detailliert beantwortet werden.
von Dipl.-Ing. Maximilian Haas, presse@dgg-online.de
Frau Prof. Kopp, seit 50 Jahren fand die DGG-Tagung jedes Jahr statt. In 2020 musste die Tagung aufgrund der Corona-Epidemie ausfallen. Wie kam es am Ende zu der Entscheidung?
Diese Entscheidung wurde gemeinsam vom DGG-Präsidium und der Tagungsleitung in München etwa zwei Wochen vor Beginn der Tagung getroffen. Die rasante Entwicklung der COVID-19 Infektionen nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland und weltweit ließ uns am Ende keine andere Wahl. Wir haben im Vorfeld der Entscheidung tägliche Krisensitzungen abgehalten, um die Situation jeweils tagesaktuell zu analysieren. Darüber haben wir ja auch auf unseren Internetseiten ständig informiert. Im Vordergrund stand bei unseren Abwägungen ausschließlich die Gesundheit und Sicherheit aller Beteiligten.
In Bayern gab es am Tag der Absage unter 100 infizierte Personen. Da ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kreis in Kontakt mit der DGG-Jahrestagung kommt eher gering. Warum dennoch die Absage, war das nicht übertrieben?
Anfangs ging es gar nicht vordergründig um infizierte Personen in Bayern, sondern vielmehr darum, dass wir bei den etwa 400 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern viele Personen aus dem Ausland sowie aus allen Regionen Deutschlands erwartet haben. Das Risiko, dass die Jahrestagung sich damit zu einem neuen Infektionsherd entwickelt, war deutlich zu hoch. Als wir die Entscheidung getroffen haben, verdoppelten sich die Fallzahlen in Deutschland alle 2-3 Tage und wuchsen exponentiell an. Unser Schatzmeister Kasper Fischer hat diese Daten des Robert-Koch-Institutes bis zum Tagungsbeginn am 23. März extrapoliert. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass die Tagungsteilnehmer und Teilnehmerinnen über mehrere Tage in geschlossenen Räumen interagiert hätten. Da es sich um eine Tröpfcheninfektion handelt und manche Betroffene gar keine Symptome zeigen, wäre das Risiko einer Verbreitung trotz möglicher Vorsichtsmaßnahmen wie Desinfektionsmittel etc. zu hoch.
Auch andere Veranstaltungen wie die Leipziger Buchmesse oder die Internationale Handwerksmesse in München wurden in Deutschland abgesagt. Hat sich die DGG an diesen Entscheidungen orientiert?
Die Leipziger Buchmesse oder auch die Handwerksmesse in München haben jeweils mehrere Zehntausend Besucher erwartet und waren damit eine Großveranstaltung besonderen Ausmaßes. Daher haben diese Messen keine Orientierung für uns dargestellt. In Frankreich wurden Veranstaltungen ab 5.000 Teilnehmern untersagt und in der Schweiz ab 1.000 Besuchern, aber wir lagen ja weit darunter mit unseren Zahlen. Somit war unsere Entscheidung von diesen Entwicklungen nicht beeinflusst, sondern basierte ausschließlich auf den Handlungsempfehlungen der Behörden und insbesondere des Robert-Koch-Institutes. Wir haben schon wahrgenommen, dass deutschlandweit auch kleinere wissenschaftliche Treffen abgesagt wurden wie z.B. der IODP/ICDP Workshop in Hamburg, aber jede Tagung hat ja standortspezifische Bedingungen, so dass wir das nicht verallgemeinert haben. In der ersten Märzwoche haben allerdings zahlreiche Universitäten, Forschungsinstitute und Arbeitgeber die Regelungen zu Dienstreisen deutlich eingeschränkt. Wir standen zudem im Austausch mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die ihre Frühjahrstagung abgesagt hat. Am Ende haben wir die Entscheidung aber natürlich eigenständig getroffen. Von Seiten der Behörden hätten wir uns klarere Richtlinien gewünscht, aber so mussten wir alleine das Risiko abschätzen.
Planen Sie, die Tagung zu gegebenem Anlass zu wiederholen oder die nächstjährige über einen längeren Zeitraum abzuhalten?
Eine Verschiebung der Tagung z.B. in den Herbst ist keine Alternative für uns, da dieser Termin zu nahe an der nächsten Frühjahrstagung in 2021 liegt. Somit würde eine Herbsttagung wohlmöglich Auswirkungen auf die kommende Jahrestagung haben, weil viele Kolleginnen und Kollegen nicht an beiden Treffen teilnehmen würden. Für die DGG Jahrestagung hat sich der Zeitraum Montag bis Donnerstag bewährt; wir diskutieren ja immer wieder eine längere Tagung, auch unabhängig von der jetzigen Situation, aber kommen bisher dabei immer zu dem Schluss, dass die momentane Dauer von 4 Tagen optimal ist und im Anschluss ja auch noch Zeit für einen Workshop lässt, den wir mit unseren Partnerorganisationen durchführen.
Welche direkten Konsequenzen hat die Absage für die DGG?
Die Folgen sind leider sehr weitreichend für uns. Die DGG ist ein Verein mit ca. 1.200 Mitgliedern und zählt damit zu den kleineren Gesellschaften in der Wissenschaft. Ich persönlich habe das immer auch als Vorteil für uns empfunden, da die Jahrestagung neben dem wissenschaftlichen Austausch dadurch auch etwas den Charakter eines ‚Familientreffens’ hat, wie Alexander Rudloff das einmal so schön ausgedrückt hat. All dies ist in 2020 natürlich weggefallen und das ist gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs sehr schade! Besonders bitter ist es für die Kolleginnen und Kollegen in München, die unsere Tagung über Monate mit viel Herzblut vorbereitet haben und denen unser ganz besonderer Dank gilt! Zudem hat es natürlich auch finanzielle Auswirkungen, das macht sich in einem Verein unserer Größe leider sehr bemerkbar und hat zur Folge, dass unsere finanziellen Polster praktisch komplett abgeschmolzen sind. Wir haben ja die Tagungsbeiträge in vollem Umfang zurückerstattet und mussten aber zeitgleich auch für bereits entstandene Kosten vor Ort aufkommen. Die Details dazu stellt Kasper Fischer gesondert dar, aber insgesamt kann man festhalten, dass diese Situation schon sehr unangenehm und herausfordernd ist. Jetzt gilt es zunächst, die Daumen zu drücken, dass sich etwas Ähnliches in den kommenden Jahren nicht wiederholt, so dass wir Zeit haben, wieder gesund auf die Beine zu kommen.
Wie sieht es mit den vereinsrechtlichen Vorgaben aus? Können diese in 2020 umgesetzt werden?
Ja, das ist kein so großes Problem. Unsere Mitgliederversammlung werden wir im Herbst in Kiel nachholen. Dort findet ja die Jahrestagung 2021 statt, so dass alle schon mal einen Vorgeschmack auf den tollen Geophysik-Standort an der Christian-Albrechts-Universität bekommen. Zu diesem Zeitpunkt halten wir auch unsere Wahlen ab, wobei uns entgegenkommt, dass dieses Jahr keine Wahlen zum Vorstand anstehen, sondern neue Beiräte gewählt werden. Mir persönlich ist daneben aber auch die Vergabe der DGG-Auszeichnungen, unserer Preise, wichtig. Hier haben wir einen guten Kompromiss gewählt: unsere Auszeichnungen für jüngere Kolleginnen und Kollegen werden wie geplant in 2020 vergeben. Hintergrund dazu ist auch, dass die Preisträgerinnen und –träger oft in einer Karrierephase sind, wo solche Auszeichnungen im Lebenslauf sehr hilfreich sein können und wir daher nicht ein Jahr warten wollten. Andere Auszeichnungen, wie der Rebeur-Paschwitz-Preis, werden wir im Rahmen der Jahrestagung 2021 verleihen, auch um einen schönen Rahmen für die Verleihung gewährleisten zu können. Wir denken, dass dieses Vorgehen im Sinne aller Preisträger und Preisträgerinnen ist.
Es ist das erste Mal in 50 Jahren, dass die Jahrestagung nicht stattfindet. Wie fühlt sich das für das Präsidium an?
Ganz miserabel, das ist keine Frage. Wir selber sehen die Situation als ‚Force majeure’, das macht es etwas leichter, damit umzugehen, auch wenn dies im juristischen Sinne nicht zutrifft. Es sind ja nicht nur die eben beschriebenen Konsequenzen, die daraus entstehen und uns schlaflose Nächte bereiten, sondern ich denke, die Absage geht weit darüber hinaus. Die Jahrestagung ist wirklich das Herz und die Seele der Geophysik in Deutschland und stellt ganz eindeutig die Aktivität dar, mit der alle die DGG identifizieren. Für den Zusammenhalt und die Identifikation mit der DGG ist die Jahrestagung daher von herausragender Bedeutung und ist für viele jüngere Kolleginnen und Kollegen und viele Studierende auch der Rahmen, in dem sie das erste Mal mit der DGG in Berührung kommen. Aber wir sind ein Verein mit einer langen Tradition — unsere 100-Jahr-Feier steht vor der Tür — und mit einem gelebten Zusammenhalt, so dass ich fest davon ausgehe, dass wir gemeinsam gut durch diese schwierige Situation kommen. Das außerordentliche Zusammenspiel im Präsidium und auch mit der Tagungsleitung vor Ort in dieser Stresssituation hat mir auch nachdrücklich gezeigt, dass wir gut aufgestellt sind, wenn’s wirklich mal richtig hart kommt, wie wir das jetzt erlebt haben.
Ist denn bereits absehbar, wie lange es dauern wird, bis die DGG wieder zum normalen Tagesgeschäft zurückkehren kann?
Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir sowas wie ein ‚normales’ Tagesgeschäft überhaupt haben. Zumindest in meinem ersten Jahr der Präsidentschaft habe ich davon nicht viel mitbekommen, aber das macht die DGG ja gerade so spannend! Wir werden sicherlich jetzt einige Wochen mit der Abwicklung der Jahrestagung 2020 zu tun haben, aber es stehen viele wichtige weitere Themen an, denen wir uns zuwenden wollen. Die Geophysik in Deutschland ist derzeit in einer Umbruchphase, die sehr viele neue Möglichkeiten aber eben auch Risiken bietet. Die Entwicklung der Geophysik an den Hochschulstandorten ist sehr unterschiedlich, dazu kommt die Situation am LIAG und in den Firmen. Dabei wird die Geophysik in den kommenden Jahren insbesondere im Zuge der Energiewende wichtige Aufgaben zu leisten haben, um Antworten auf dringende Fragen in unserer Gesellschaft zu liefern. Zeitgleich müssen wir uns als Verein neuen Kommunikationsformen öffnen, um alle unsere Mitglieder zu erreichen. Dazu reichen die Roten Blätter nicht mehr aus, sondern viele unserer jüngeren Mitglieder sind auf digitale Kommunikation eingestellt. Wir müssen also in Zukunft beides leisten, sind aber auf einem guten Weg, besonders aufgrund des enormen Engagements unserer jüngeren Mitglieder und des Nachwuchses, aber auch vieler langjähriger Mitglieder. All diesen Themen werden wir uns im Herbst im Rahmen einer Klausurtagung der DGG widmen, und ich bin überzeugt, dass auch hier das gute Zusammenspiel oder der ‚team spirit’, wie manche es nennen, uns für die Zukunft wappnen. Daher freue ich mich schon jetzt auf die Tagung 2021 in Kiel und darauf, viele Kolleginnen und Kollegen wiederzutreffen und unseren Dialog innerhalb der DGG dort weiterzuführen, um gestärkt in unser Jubiläumsjahr 2022 und die nächsten hundert Jahre DGG zu gehen!
Eventuell könnte man die vorliegende Situation auch als eine Möglichkeit sehen, Webinare oder Artikel und gedruckte Poster in einer DGG-Online-Sonderausgabe zu veröffentlichen? Somit könnten die Arbeiten der WissenschaftlerInnen am Ende noch den Weg zum Fachpublikum finden, ohne Warten auf die nächsten Konferenzen, die ohnehin eingeschränkt bleiben?
Diese Möglichkeit eruieren wir gerade zusammen mit der SEG, die viel Erfahrung darin hat. Es lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen, stellt aber eine gute Möglichkeit dar, zumindest einen Teil des wissenschaftlichen Austausches auf diesem Weg aufzufangen. Ich sehe dies aber auch für die Zukunft nicht als Alternative zu unserer Jahrestagung, bei der vor allem ja auch der persönliche Austausch während der Tagung oder abends bei einem Bier den Charakter der DGG Tagung ausmacht. Die sich dadurch auch ergebenen Möglichkeiten der Vernetzung gerade für jüngere Kolleginnen und Kollegen lassen sich virtuell nicht kompensieren.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!
Für weitere Rückfragen wenden Sie sich an: presse@dgg-online.de
Infos zum aktuellen Stand des COVID-19 Virus (Robert Koch Institut): https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html