Andreas Kemna (Universität Bonn) untersucht die Dynamik von Permafrost-Systemen unter dem Einfluss der globalen Erwärmung.
Eisige Untersuchungsgebiete standen im Fokus der 14. C.-F.-Gauss Lecture, die während der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) im frühlingshaften Wien stattfand, zu der dieses Jahr mittlerweile über 16.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 113 Ländern angereist waren. Die bereits vierzehnte Veranstaltung der C.-F-Gauss Vortragsreihe der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft e.V. (DGG) wurde am 10. April 2019 (dem traditionellen ‚EGU-Mittwochabend’) von Professor Dr. Andreas Kemna von der Universität Bonn gehalten. Mit dieser Vortragsreihe ehrt die DGG den Mathematiker und Physiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855), der mit seinen frühen Untersuchungen zum Erdmagnetfeld auch Grundlagen für die moderne Geophysik legte.
Auch in diesem Jahr war die Gauss-Lecture mit etwa 80 Personen wiederum sehr gut besucht, trotz zahlreicher parallel stattfindender Veranstaltungen auf der EGU. Den Auftakt zur C.-F.-Gauss Lecture bildete wie jedes Jahr ein Empfang der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft im Foyer vor dem Hörsaal, zu dem alle Freunde und Mitglieder der DGG eingeladen waren, sich bei kleinen Snacks und Wein auszutauschen und über aktuelle Projekte und Forschungsergebnisse zu diskutieren. Eine Besonderheit der diesjährigen Veranstaltung bildete die Überreichung der Emil-Wiechert-Medaille der DGG, ihrer höchsten Auszeichnung, an Professorin Barbara Romanowicz (Univ. Berkeley und Paris). Damit würdigt die DGG die exzellenten wissenschaftlichen Leistungen von Frau Romanowicz auf dem Gebiet der globalen Seismologie und ihre herausragende wissenschaftliche Führungsrolle auf internationaler Ebene. Da Frau Romanowicz verhindert war, zur Verleihung der Wiechert-Medaille im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der DGG im März nach Braunschweig zu reisen, wurde die Überreichung nun zum Auftakt der C.-F.-Gauss-Lecture nachgeholt.
Im Anschluss präsentierte der diesjährige Referent der Gauss-Lecture Professor Andreas Kemna in seinem Vortrag „Imaging the frozen subsurface: Geoelectrical signatures for the diagnosis of thawing permafrost systems“ (Vortragsfolien) neue geophysikalische Ansätze zur Charakterisierung und zum Monitoring von Permafrostgebieten mittels geoelektrischer Methoden. Auftauprozesse im Permafrost unter dem Einfluss steigender Temperaturen führen zu Verschiebungen des hydrologischen und mechanischen Zustandes des Untergrundes, die zu Gefährdungen durch Hanginstabilitäten und dem vermehrten Austritt von klimaschädlichen Gasen führen können. „Daher ist ein verbessertes Verständnis der Dynamik und Rückkopplung der thermo-hydro-mechanischen Prozesse von hoher gesellschaftlicher Relevanz“, führt Kemna aus. „Hier können geophysikalische Untersuchungen wichtige Einblicke insbesondere zur Temperatur und zum Eis- bzw. Wassergehalt von Permafrostgebieten liefern. Dabei stellen die Umweltbedingungen in den subarktischen und Hochgebirgsregionen eine Herausforderung an die Messungen dar“, ergänzt Kemna. Geoelektrische Messansätze haben sich als besonders geeignet erwiesen, insbesondere um nicht nur den Untergrundzustand zu ermitteln, sondern vor allem auch zeitabhängige Änderungen und Phasenübergänge zwischen Eis und Wasser zu beobachten. Dabei stoßen Messungen des elektrischen Widerstands mit Tomographieansätzen (ERT: Electrical Resistivity Tomography) schnell an Grenzen, da diese nicht sensitiv gegenüber Fluidbewegungen sind, denen aufgrund des advektiven Wärmetransports eine Schlüsselfunktion in der komplexen Prozessdynamik von schmelzenden Permafrostgebieten zukommen. Die Kombination aus seismischen und geoelektrischen Daten wiederum scheint vielversprechend. Insbesondere Induzierte Polarisation (IP, spektrale IP) und Eigenpotential (SP: self-potential) haben sich in Labor- und Feldversuchen als geeignete Methoden zur Quantifizierung des Eisgehaltes und zum Monitoring von Schmelzwasserbewegungen erwiesen. SP-Messungen im Hochgebirge konnten laut Kemna die saisonal bedingten Variationen von Schmelzvorgängen und Wiedervereisung des Untergrundes aufzeichnen. „Dabei bleibt aber vor allem ein langfristiges Monitoring in Permafrostregionen eine technische Herausforderung“, sagt Kemna. Dennoch sind diese Ansätze vielversprechend, zum einen weil sie nicht-invasiv durchgeführt werden können und zudem eine vergleichbar hohe räumliche und zeitliche Auflösung der Parameter bieten. „Diese Informationen sind eine Voraussetzung für ein besseres Verständnis und vor allem für eine bessere Vorhersagbarkeit der Untergrundentwicklung im Permafrost unter dem Einfluss der Klimaänderungen“, erläutert Andreas Kemna.